Die mich hoffentlich noch lange begleitet
Weißt Du noch?
13 Jahre ist es nun her, dass Du in mein Leben geknallt bist. Ich erinnere
mich genau an den kleinen, viel zu dünnen, sehr verängstigten Hund mit
den roten Locken. Wie Du in meinem Wohnzimmer gesessen hast, fest an
die Beine Deines Frauchens gedrückt, das Dir leider keine Sicherheit geben
konnte, weil sie mit Dir völlig überfordert war. Wie Du gejammert,
geschrien und in meine Richtung gekeift hast. Auch Du warst völlig
überfordert. Überfordert mit dem Leben und all seinen vermeintlichen
Gefahren. Wir haben uns angesehen und Dein Blick, der um Hilfe flehte,
ging mir nicht mehr aus dem Kopf.
Weißt Du noch?
Einige Wochen später trafen wir uns zufällig auf der Straße wieder. Du
lebtest bereits mal wieder in einer neuen Familie. Fünf schreiende Kinder und
eine überforderte Mutter hattest Du im Schlepptau. Wieder trafen sich
unsere Blicke und wieder sah ich Dein Flehen: Bitte hilf mir!
Weißt Du noch?
Bereits am nächsten Tag nahm ich Dich bei mir auf. Du warst schon wieder
im Tierheim gelandet und ich konnte es nicht erwarten, Dich dort
abzuholen. Es war der 3. September 2001 und es war eine der besten
Entscheidungen meines Lebens!
Ich blicke zurück auf 13 aufregende, anstrengende, manchmal sehr
verzweifelte, aber vor allem auch sehr lehrreiche Jahre. Du hast mich sehr
gefordert, Du hast mir so unglaublich viel beigebracht…
Weißt Du noch?
In den ersten Wochen warst Du so gestresst, Du kamst
nicht zur Ruhe. Wie ein Wolf im Käfig bist Du durchs Haus getrabt. Runde
um Runde, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Wie oft musste ich Dich sanft zur
Ruhe zwingen, ich hatte Angst, Du würdest bis zur völligen, körperlichen
Erschöpfung laufen.
Weißt Du noch?
Das Jenny, Pinocchio und Dieter
bereits in den ersten drei Tagen „Löcher“ hatten? Immer hattest Du das
Gefühl es ginge um Dein Leben und immer hast Du darum gekämpft.
Weißt Du noch?
Wie wir zu Beginn unsere, zunächst nur wenige Minuten
dauernden, Spaziergänge gestaltet haben? Sicherheitsabstände von 250 –
300 Metern zu Allem was lebte und sich bewegte… Alle Distanzen darunter
führten zu Panikattacken, die Dich an den Rand des Wahnsinns trieben.
Weißt Du noch?
Wie Du mich im Zickzack und in Höllentempo durch den
Wald geschliffen hast? Weil Du alles jagen wolltest? Mäuse, Vögel,
Kaninchen, Wolken, vom Baum fallende Blätter?
Erinnerst Du Dich noch?
An den ersten Tag, an dem ich Dir ganz unschuldig Deinen ersten
Ochsenziemer gegeben habe? Danach durfte kein Lebewesen mehr das
Wohnzimmer betreten…
Ich erinnere mich:
An Deine Angst und Panik, wenn Besuch zu uns kam.
Dann hast Du wirklich um Dein Leben gekämpft. Ich konnte die Angst und
Verzweiflung in Deinen Augen sehen. Mehrere Jahre vereinsamte ich, aus
Rücksicht auf Dich.
Ich erinnere mich:
An Tage voller Hoffnungslosigkeit.
An Tage voller verzweifelter Tränen, oft wußte ich nicht, ob ich Dir, den mit
uns lebenden Hunden und auch mir, dieses Leben wirklich zumuten durfte.
An diesen Tagen rief ich mir immer wieder die kleinen, glücklichen
Momente in Deinem und meinem Leben ins Gedächtnis.
Ich erinnere mich:
An Situationen, in denen Du Dich zum ersten Mal vertrauensvoll an
mich gedrückt hast. An die ersten Abende an denen Du zu mir auf die
Couch geklettert bist, einfach nur, um neben mir, in meiner Nähe zu liegen.
An die ersten Spielansätze, die Du mir gegenüber gezeigt hast. An den
Tag, an dem ich Dir zum ersten Mal ganz vorsichtig und sanft die wilden,
roten Locken bürsten durfte. An Deine hoffnungsvoll fragenden Augen:
„Wir bleiben doch jetzt zusammen, oder?“.
Und ich erinnere mich:
An das Glücksgefühl, das mich in diesen Momenten durchströmte!
Weißt Du noch?
Wie viel Spaß wir auf unseren einsamen Spaziergängen
hatten? Wie Du gerannt bist, Deine verrückten 5 Minuten Runden gedreht
hast? In dieser Zeit warst Du selten mit allen 4 Pfoten auf dem Boden.
Wie viel Freude es gemacht hat, mitten im Feld auf einer Wiese zu sitzen, die
Sonne zu genießen und einfach eine schöne, gemeinsame Zeit zu
verbringen?
Weißt Du noch?
Wie viel Spass wir bei unserem Fotoshooting
hatten? Wie stolz ich auf Dich war? Nur wenige Zentimeter vor Deinem
Gesicht das Gesicht der Fotografin und die Kamera?
Im Laufe der Jahre sind wir zusammen reifer und weiser geworden. Du
fühltest Dich immer sicherer, wurdest immer ruhiger. Irgendwann konnten
wir wieder Besuch empfangen, auch heute ist das noch etwas ganz
spannendes für Dich, aber Du hast gelernt Dich zurückzuziehen, wenn es
Dir zu viel wird. Mit Deinesgleichen hast Du eine Geduld entwickelt die
niemand für möglich gehalten hätte. So mancher Jungspund in unserer
Familie kann auf Deine Erziehung zurück blicken. Mit Dir sind sie sehr gut
aufgewachsen und heute noch hast Du „Deine Jungs“ gut im Blick und im
Griff. Deine geduldige, aber klare und konsequente Art verschafft Dir den
Respekt, den Du verdient hast.
Deine Mahlzeiten nimmst Du mit einer Ruhe und Selbstverständlichkeit ein
– nichts ist mehr zu sehen von Deiner Angst, das Essen zu verlieren. Im
Gegenteil: Heute muss ich darauf achten, dass Du in Deiner grenzenlosen
Geduld, Dir den Ochsenziemer nicht von dreisten Labradoren aus dem Fang
nehmen lässt…
Gemeinsam bewältigten wir so manchen Sturm in unserem Leben. Sind
füreinander da. Durch Dich habe ich gelernt, was das Wort Geduld wirklich
bedeutet. Ich habe gelernt, dass alles seine Zeit braucht, Jahre waren nötig
um ein recht „normales“ Leben mit Dir führen zu können. Du hast mir
gezeigt, dass man niemals aufgeben darf, dass es sich lohnt für etwas, oder
jemanden zu kämpfen. Du hast mich gelehrt, was „Ruhe“ wirklich ist, wie
wichtig es ist immer wieder zur Ruhe zu kommen. Wie unglaublich wichtig
es ist, sich selbst zurück zu nehmen, auch mal Fünfe gerade sein zu lassen,
zu entspannen, zu schlendern, die Umwelt und Natur in all ihren
„Kleinigkeiten“ wieder wahrzunehmen und zu genießen – all das hast Du
mir in den letzten Jahren beigebracht. Du bist mein Spiegel – will ich
wissen, wie es mir geht, reicht ein Blick auf Dich. Das Band, das uns
verbindet ist stark, aus gegenseitigem Respekt und aus vollstem Vertrauen
geflochten. Wir sehen uns an und verstehen uns, Du bist da wo ich bin –
ich bin da wo Du bist. Selbst dann, wenn wir voneinander getrennt sind.
Ich liebe Dein glückliches, immer noch sehr jugendliches Grinsen und freue
mich über jeden Moment in dem ich es sehen kann.
Und immer noch genießen wir es, mitten im Feld in der Sonne zu sitzen,
einfach eine schöne Zeit zusammen zu verbringen. Gemeinsam sind wir
gelassener geworden, sind nicht mehr so impulsiv. Haben gelernt das
Leben zu genießen, wissen was Verlässlichkeit bedeutet und Vertrauen zu
haben. Vertrauen ins Leben…
Ich glaube, Deinen größten Wunsch zu kennen. Ich werde alles daran setzen, ihn Dir zu erfüllen!
Danke Lena – die beste Lehrmeisterin, die ich treffen konnte.
Silvia Weber